IBA-Expertenrat plädiert für Zukunftsquartiere als Next Practice
Die Versorgung mit Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung ist zu einer der drängendsten gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben geworden. Dabei sind die Antworten auf die Frage, wie der zunehmenden Wohnungsnot begegnet werden kann, vielfältig und reichen von dem Bau von neuen Stadtteilen, über die Revitalisierung von aufgegebenen und untergenutzten Brachflächen im innerstädtischen Kontext bis hin zu Programmen für eine Beschleunigung des Wohnungs(um)baus. Die Schaffung von Wohnraum ist jedoch keine rein quantitative Aufgabe, sondern eine Herausforderung, die mit nachhaltigen Qualitäten des Wohnkomforts, mit einer guten Nutzungsmischung und mit energetischen und klimatischen Aspekten sowie der Zirkularität eng verknüpft ist.
Vor diesem Hintergrund hat der IBA-Expertenrat des BMWSB ein Positionspapier verfasst, das die Erfahrungen aus der Anwendung des Formates der Internationalen Bauausstellungen (IBA) aus vergangenen und laufenden IBA mit den skizzierten aktuellen Herausforderungen verknüpfen und damit eine integrierte Quartiersentwicklung befördern will.
Stadtteile und -quartiere auf dem Weg der Umsetzung
Trotz eines enormen Entwicklungsdrucks auf unsere Städte, gilt für den Städtebau und die Stadtentwicklung nach wie vor die Devise "Innenentwicklung vor Außenentwicklung". Im Sinne einer für aktiven Klimaschutz relevanten Kreislaufwirtschaft müssen bevorzugt ehemalige Industrie-, Bahn- und Militärflächen entwickelt werden. Aber die innerstädtischen Flächen werden knapp, sodass Stadterweiterungen in einzelnen Regionen mit extremem Nutzungs- und Entwicklungsdruck unumgänglich sind bzw. sich zulasten von innerstädtischen Qualitäten und notwendigen Freiräumen auswirken würden. Neue Stadtteile und Quartiere wie Dietenbach in Freiburg, Schönefeld-Nord in Brandenburg oder Hafner in Konstanz, die an den Rändern der Städte und Agglomerationsräume geplant sind - zum Teil auf aufgegebenen Industrie- oder Kasernenarealen oder durch Inanspruchnahme von landwirtschaftlich genutzten Flächen -, können demnach auch ein wichtiger Beitrag zur Lösung der dringenden und sich verschärfenden Wohnungsfrage sein.
Von der Internationalen Bauausstellung (IBA) zum "Zukunftsquartier"
Internationale Bauausstellungen sind beispielgebend und gut, weil im Rahmen solcher Formate der Stadt- und Regionalentwicklung modellhafte und übertragbare Lösungen für grundlegende gesellschaftliche und planerische Fragestellungen entwickelt werden. Dabei spielt die zukunftsorientierte Quartiersentwicklung eine zentrale Rolle.
Das Format der IBA hat unter Beweis gestellt, dass es sich in besonderem Maße dazu eignet
- sektorale Herangehensweisen zu überwinden und integrierte Prozesse umzusetzen,
- höchste Qualitätsansprüche an Baukultur durch geeignete Qualifizierungsverfahren einzulösen,
- erfolgversprechende Instrumente einzusetzen und Organisationsformen zu etablieren und
- schnell und modellhaft Lösungen auf den Weg zu bringen.
Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, laufende und gerade an den Start gegangene Quartiersentwicklungen in Deutschland an den Erfahrungen von IBA teilhaben zu lassen. Quartiere sollen den Status von "Zukunftsquartieren" erlangen, wenn sich die Kommunen an den ambitionierten IBA-Qualitätskriterien orientieren (vgl. IBA-Memorandum ) sowie integral und modellhaft vorgehen wollen.
Die vom IBA-Expertenrat vorgeschlagene Exzellenzinitiative mit der Dachmarke "Zukunftsquartiere" möchte die Kommunen inhaltlich und organisatorisch unterstützen durch
- eine Vernetzung der Kommunen miteinander in Form eines strukturieren Know-how-Transfers,
- eine Sammlung von Best-/Next-Practice Projekten, um das "Voneinanderlernen" zu beschleunigen, und
- eine prioritäre Berücksichtigung in den Förderprogrammen des Bundes und der Länder.
Der IBA-Expertenrat empfiehlt, die Entwicklung von "Zukunftsquartieren" zu einem herausgehobenen Politikfeld der Stadt- und Regionalplanung zu machen und Kriterien sowie Verfahren für die Anerkennung als IBA-ähnliches Format zu entwickeln. Damit können Anreize zur Nachahmung geschaffen werden, die insbesondere innovative und dringend benötigte Lösungen zielführender in die breite Praxis übertragen. So würde unser "Langsam-Land" zeigen, wie es mit der Etablierung von "Zukunftsquartieren" schnell und sichtbar Transformation gestalten und NEXT Practice mit höchsten Ambitionen umsetzen kann.
Prof. Dipl.-Ing. Christa Reicher,
Stadtplanerin und Architektin, Aachen