Städtetag aktuell 4|2024
10.10.2024

Die EU braucht die transformative Kraft der Städte

Burkhard Jung, Vizepräsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Präsident des europäischen Städtenetzwerkes Eurocities

Bei der Europawahl 2024 haben sich die politischen Kräfte in Europa und in Deutschland nach rechts verschoben. Diese Entwicklung wurde auch in den Städten sichtbar. Natürlich hat dieses Wahlergebnis die Zusammensetzung des europäischen Parlaments verändert. Aber wichtig ist zunächst: Die demokratische Mehrheit im europäischen Parlament hat klar standgehalten.

Rechtsradikale und rechtsnationale Parteien haben zwar an Stimmen gewonnen, sie haben aber nicht die Mehrheit im europäischen Parlament erobert. Diese ist weiterhin von den vier Parteifamilien der Mitte geprägt: der bürgerlich-konservativen Volkspartei (EVP), den Sozialdemokraten (S&D), den Liberalen (Renew) und den Grünen (Greens). Das ist für die Zusammenarbeit der Städte mit dem Europäischen Parlament wichtig.

Um diese Zusammenarbeit weiter auszubauen, ist Fachwissen und Erfahrung der Städte sehr gefragt. Wir müssen mehr tun, als nur von anderen getroffene Entscheidungen umzusetzen. Wir müssen integraler Bestandteil der strategischen Entscheidungsprozesse sein, die Städte betreffen und sicherstellen, dass europäische Politik die städtischen Realitäten umfassend berücksichtigt. Um Gehör zu finden, sollten nicht nur die deutschen Städte, sondern alle europäischen Großstädte möglichst mit einer Stimme sprechen.

Innerhalb des europäischen Städtenetzwerkes Eurocities haben wir im Vorfeld der Europawahlen deshalb ein gemeinsames Manifest formuliert. Darin fordern wir eine Europäische Union, die bürgernah agiert, Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, und demokratische Werte verteidigt und – vor allem – die transformative Kraft ihrer Städte für das europäische Gemeinwohl nutzt. Fünf zentrale Aktionsbereiche stehen dabei ganz oben auf der Agenda:

1.         eine soziale Agenda, die den Menschen zugutekommt,

2.         ein starkes Engagement für einen ­ambitionierten Green Deal,

3.         eine rechtebasierte, inklusive und klimagerechte digitale Agenda,

4.         ein auf kommunaler Ebene handlungsfähiges Europa,

5.         eine europäische Strategie für Städte.

  • OB Burkhard Jung und Bürgermeister Dario Nardella (Florenz) auf der Jahreskonferenz EUROCITIES 2023 in Cluj-Napoca

Während der letzten politischen Amtszeit haben wir ein beispielloses Engagement zwischen den Verantwortlichen der EU und der Städte erlebt. Dazu gehören erste Treffen mit einem Präsidenten der Europäischen Kommission, eine gemeinsame Initiative mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments zu den Hilfsmaßnahmen für die Ukraine und Treffen mit Premierministerinnen und Ministern der nationalen Regierungen, die den EU-Ratsvorsitz innehaben. Dieses Engagement gilt es in der kommenden Legislaturperiode zu festigen und weiterzuentwickeln.

Um die Zusammenarbeit auch in Zukunft zu stärken, hat Eurocities ein Schattenkabinett aus Oberbürgermeistern europäischer Großstädte gebildet, die entscheidende Prioritäten der Städte auf europäischer Ebene vertreten. Während Schattengremien traditionell eine politische Alternative zum formellen Kabinett darstellen, haben die lokalen Entscheidungsträger hier nicht die Absicht, oppositionell zu sein. Im Gegenteil – Ziel dieser europäischen Oberbürgermeisterinnen ist es, als Ansprechpartner für die neue Kommission zur Verfügung zu stehen, um die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf lokaler Ebene hervorzuheben.

In Zukunft müssen wir uns vor allem einer Herausforderung stellen, die für unsere Städte und den künftigen Wohlstand Europas von immenser Bedeutung ist: dem Schutz und der Stärkung unserer demokratischen Werte. Die Menschen in unseren Städten haben täglich damit zu kämpfen, bezahlbaren Wohnraum zu finden, angemessene Arbeitsplätze zu sichern und gesunde Lebensmittel auf den Tisch zu bringen. Die Klimakrise und der andauernde Krieg in der Ukraine haben das Gefühl der Instabilität noch verstärkt und ein Umfeld geschaffen, das durch Fehlinformationen und Unsicherheit zur Polarisierung beiträgt. Vielerorts haben extremistische Stimmen an Boden gewonnen, die vermeintliche Lösungen anbieten. Komplexe Probleme lassen sich aber nicht im Alleingang lösen. Als städtische Entscheidungsträger müssen wir deshalb unsere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union intensivieren.

Burkhard Jung,
Vizepräsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Präsident des europäischen Städtenetzwerkes Eurocities

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Dieser Text ist erschienen in Städtetag aktuell 4|2024, Schwerpunkt Europa

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