Drei Fragen zur Beteiligung der Städte in der EU
Nach den Europawahlen hat sich das politische Spektrum stärker hin zu den politischen Rändern verschoben. Es erscheint breiter und differenzierter, aber auch fragiler. Anlass für Städtetag aktuell zu den Auswirkungen bei Oberbürgermeister Uwe Conradt aus Saarbrücken nachzufragen. Er ist Delegierter des Deutschen Städtetages im Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR) und stellvertretendes Mitglied im Hauptausschuss und im Präsidium des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE)/Deutsche Sektion.
Städtetag aktuell: Demokratische Politik lebt von einem möglichst breiten politischen Konsens. Diese Maßgabe wird immer komplizierter – gerade im neuen EU-Parlament. Was bedeutet das für Städte und Stadtspitzen? Wie sollen wir mit dem neuen Parlament umgehen?
Oberbürgermeister Uwe Conradt: Das Parlament ist Ausdruck der Stimmung, die in den europäischen Ländern herrscht und damit ein Warnschuss nicht nur für europäische Akteure, Strukturen und vorherrschende Denkweisen in Brüssel, sondern für die Demokratie in Europa. Die Wählerinnen und Wähler sind der Souverän, daher gilt es, deren Willen zu respektieren. Der Wille war mehrheitlich, dass Europa demokratisch bleibt, das ist eine gute Nachricht. Es zeigt sich aber, dass immer mehr Menschen sich von der Politik von EU-Kommission und EU-Parlament abwenden. Dies überrascht Bürgermeister wahrscheinlich deutlich weniger, als viele, die in der Brüsseler EU-Community beheimatet sind. Ich denke, dass das Wahlergebnis auch eine Chance ist, die genutzt werden sollte: Wir brauchen weniger neue und insgesamt weniger Regeln, eine Chance für Bürokratieabbau, schlanke Strukturen, mehr Freiheit, mehr gelebte Subsidiarität und damit endlich wieder Raum für mehr Leidenschaft, große Themen gemeinsam anzugehen.
Städtetag aktuell: Die große Mehrzahl der EU-Entscheidungen haben direkt oder indirekt Auswirkungen auf die Kommunen in Deutschland. Wie sind die Städte an Entscheidungsfindungen der EU beteiligt? Was muss noch besser werden? Zum Beispiel fordern unsere Mitgliedsstädte ja einen Beauftragten für städtische Angelegenheiten und einen jährlichen Städtegipfel mit der EU-Kommission.
Conradt: Europa hat sehr viel Einfluss auf unser Alltagsleben und auch auf die kommunale Selbstverwaltung. Die kommunale Ebene ist es leider mittlerweile gewohnt, dass ihre Rolle für die Daseinsvorsorge und ihr Recht auf Selbstverwaltung zu wenig respektiert wird. Sie wird auf die Ebene reduziert, die Recht ausführt und der bestenfalls vorab Gehör geschenkt wird. Der Ausschuss der Regionen nimmt zwar Stellung zu Initiativen, Richtlinien und Verordnungen der EU-Kommission, allerdings gibt es auch hier keine echte Folgenabschätzung, was genau auf die Kommunen zukommt. Interessen der verschiedenen politischen Strömungen können auch hier immer wieder in den Vordergrund treten und zudem ist die kommunale Ebene Deutschlands mit drei von 24 Vertretern zum Beispiel maximal unterrepräsentiert. Das Brüsseler Büro unseres Deutschen Städtetages und unsere Geschäftsstelle leisten eine sehr gute Arbeit. Es gelingt uns auch immer wieder, wichtige Akzente zu setzen und Änderungen für die Städte in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, allerdings fühlt es sich oft an wie Schadensbegrenzung.
Es braucht einen europäischen Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozess mit einer territorialen Folgenabschätzung, um zu überprüfen, wie sich Gesetze auf kommunaler Ebene auswirken.
Städtetag aktuell: Wie organisieren sich die Städte, ihre Interessen auf EU-Ebene einzubringen? Und ginge da noch mehr (AdR-Arbeit; Zusammenarbeit in den Grenzregionen; Städtepartnerschaften etc.)?
Conradt: Neben der Mitgliedschaft im Deutschen Städtetag ist für Städte sicherlich auch interessant, Teil eines Eurodistrikts zu sein, wie es Saarbrücken beispielsweise im Eurodistrikt SaarMoselle ist. Die Eurodistrikte stehen im Austausch mit der EU-Kommission bzw. werden hinsichtlich Integrationshemmnissen durchaus strukturiert von Brüssel befragt. Eine andere Möglichkeit sind Städtenetzwerke, davon gibt es solche, die sich nach Themen richten, beispielsweise zu ökologischen Herausforderungen, wie auch Netzwerke mit konkreter Zusammenarbeit. Ein Beispiel hierfür ist das Städtenetz QuattroPole, in dem sich Saarbrücken mit Trier, Luxemburg und Metz zusammengeschlossen hat. Auch hier stehen wir immer wieder im Austausch mit EU-Vertretern und Europapolitikern.
Von unseren Erfahrungen und vor allem von pragmatischen Lösungen könnte auch die Politik auf europäischer Ebene profitieren. Denn gemeinsame Herausforderungen gibt es auch europaweit. Besonders interessant dabei sind Grenzstädte, die konkrete Problemlagen thematisieren können. Im AdR gibt es eine „Cross-Border Intergroup“, in der grenzüberschreitende Themen behandelt werden, aber für diese, wie für die anderen Initiativen gilt der Appell an die europäischen Politiker und Institutionen: Hört den Bürgermeistern und Städten zu.
"Europawahl 2024: Europas Zukunft Richtung geben"
"Europawahl 2024: Europas Zukunft Richtung geben" benennt wichtige Forderungen der Städte an das EU-Parlament und die EU-Kommission: