"Wohnungsmarkt entwickelt sich zum sozialen Sprengsatz"
In einem Interview mit Ippen Media sprach Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, über die Baukrise, die Novelle des Baugesetzbuchs, den Gebäudetyp E und die Mietpreisbremse.
IPPEN: Herr Dedy, wir befinden uns in einer Baukrise und die Mieten explodieren. Nun riet Bauministerin Klara Geywitz den Menschen, doch aufs Land oder in die Kleinstadt zu ziehen, um den Problemen zu entgehen. Wie kam das bei Ihnen an?
Helmut Dedy: Die Idee ist nett, aber wem hilft sie? Wenn ich 20 Jahre jung bin und gerade meine Ausbildungsstelle in Berlin beginne, bringt mir dieser Gedanke nichts. Die Äußerung war nicht wirklich hilfreich. Und die Situation ist auch echt schwierig. Fast alles, was derzeit gebaut wird, ist zu teuer. Jedenfalls zu teuer für einen sozial ausgerichteten Mietwohnungsmarkt.
IPPEN: Als Deutscher Städtetag repräsentieren Sie über 50 Millionen Menschen. Ist das Thema Mieten und Wohnen bei den Städten gerade das drängendste?
Helmut Dedy: Wenn man fragt, was in den nächsten zehn Jahren am wichtigsten wird, kommt als Antwort Klimaschutz und Klimaanpassung. Kurz- und mittelfristig aber ist Wohnen das zentrale Thema. Die Zinsen und die steigenden Baupreise führen zu den Wohnungsproblemen, die wir gerade in den Städten sehen.
IPPEN: Was heißt das für die Menschen?
Helmut Dedy: Wohnungspolitik ist Sozialpolitik. Die Probleme bedrohen das soziale Gefüge in der Stadt. Wohnungslosigkeit nimmt zu. Das ist nur ein Beispiel, aber es ist ein gewisses Indiz für eine grundlegende soziale Herausforderung. Das Thema Wohnen erfüllt uns mit Sorge, aber auch mit Ehrgeiz.
IPPEN: Die Bundesregierung will die Baukrise nun in den Griff bekommen. Als eine Lösung soll der Gebäudetyp E kommen. Das E steht für einfaches und experimentelles Bauen, Auflagen sollen wegfallen, der Neubau dadurch günstiger, schneller und mehr werden.
Helmut Dedy: Ja, das ist gut, wir unterstützen das. Schon als das Konzept des Gebäudetyp E vorgestellt wurde, haben die Bauexperten bei uns gesagt, dass das eine Lösung sein kann. Der Neubau soll sich künftig auf die Kernziele Standsicherheit, Brandschutz und Klimaschutz konzentrieren und die restlichen Auflagen abspecken können. Wir hoffen darauf, dass dieser Standard im Bau Einzug hält. In diesen Maßnahmen steckt Potenzial.
IPPEN: Eine weitere Maßnahme ist die Novelle des Baugesetzbuches, durch sie soll ebenfalls Bürokratie abgebaut werden und im besten Fall dann auch die Mieten sinken.
Helmut Dedy: Auch die BauGB-Novelle sehen wir positiv. Besonders für die Stärkung kommunaler Vorkaufsrechte sprechen wir uns als Städtetag eindeutig aus. Mit mehr Zugriff auf Grund und Boden würden die Städte auch mehr Einfluss auf ihre eigene Bodenpolitik nehmen können. Schritt für Schritt können Städte dann der Preisspirale beim Boden Einhalt gebieten.
IPPEN: Ein weiteres Leuchtturmprojekt der Bauministerin ist die Wohngemeinnützigkeit. Wer dauerhaft gemeinnützig baut, wird gefördert. Ein richtiger Schritt für leistbares Wohnen?
Helmut Dedy: Sozialwohnungen sind stets zeitlich befristet. Mit der neuen Wohngemeinnützigkeit könnten wir eine neue, dauerhafte Struktur bilden. Das ist ein wenig wie der Genossenschaftsgedanke, nur ohne Genossenschaft. Das hat Zukunft und unterstützen wir.
IPPEN: Stellt sich die Frage, wer die Wohnungen bauen soll. Viele Träger können sich das nicht mehr leisten.
Helmut Dedy: Ich schaue etwa auf das, was früher als Werkswohnung bekannt war. Dabei wollen wir die Probleme des bezahlbaren Wohnraums und des Fachkräftemangels gemeinsam angehen. Wenn in einer Stadt ein großes Unternehmen händeringend nach Leuten sucht, kann die Stadt mit dem Betrieb sprechen und versuchen, solche Werkswohnungen gemeinnützig auf den Weg zu bringen. Das passiert bereits.
IPPEN: Vielen Linken reicht das nicht. Sie sind der Überzeugung, in Großstädten kann bezahlbares Wohnen nur durch Enteignung klappen. In Berlin gab es sogar einen erfolgreichen Volksentscheid, Immobilienriesen zu enteignen. Wie stehen Sie dazu?
Helmut Dedy: Ich kann die Emotionalität und Wut vieler Menschen verstehen, die einfach keine Wohnung mehr finden. Ich denke aber nicht, dass sich der Deutsche Städtetag für Enteignung aussprechen wird. Wir sind auf Konsens ausgerichtet, wollen Kommunalpolitik mit unterschiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen zusammenbringen. Der Gedanke der Enteignung trennt eher.
IPPEN: Die Beschlüsse rund ums Bauen helfen bestenfalls langfristig. Doch die Mieten explodieren schon jetzt. Eine Direktmaßnahme ist die Mietpreisbremse. Sie soll Wucher-Erhöhungen ausschließen. Halten Sie die Bremse für einen guten Hebel?
Helmut Dedy: Wir müssen dafür sorgen, dass wenigstens die Bestandswohnungen in nachgefragten Städten halbwegs bezahlbar bleiben. Wenn eine Wohnung wieder vermietet wird, steigen die Mieten immer noch in vielen Großstädten oder Uni-Städten. Selbst wenn der Mietspiegel einer Stadt schon zwölf bis 15 Euro pro Quadratmeter für eine Altbauwohnung ausweist, wird bei Nachvermietungen häufig auch das Doppelte verlangt. Die Mietpreisbremse dämpft diese Preistreiberei für Bestandswohnungen in vielen Fällen. Aber sie ist nur befristet bis 2025 gültig. Sie muss verlängert werden und das schnell.
IPPEN: Im Koalitionsvertrag der Ampel ist die Verlängerung der Mietpreisbremse vorgesehen.
Helmut Dedy: Die Koalitionäre haben im April zwar ‚weißen Rauch‘ in dieser Streitfrage aufsteigen lassen, aber ein konkreter Gesetzentwurf fehlt immer noch. Die Zeit drängt: Wir brauchen jetzt in der Ampel einen geeinten Vorschlag für eine Verlängerung der Mietpreisbremse über 2025 hinaus. Der Wohnungsmarkt entwickelt sich mehr und mehr zum sozialen Sprengsatz. Viele Menschen müssten sonst mit noch höheren Mietbelastungen rechnen.
Mit freundlicher Genehmigung von IPPEN Media