"Wir benötigen mehr ganzheitliche Quartierskonzepte"
Bei der Jahrestagung des Kompetenzzentrums Großsiedlungen mit Bundesbauministerin Klara Geywitz am 17. Oktober in Berlin diskutierten die Teilnehmenden darüber, wie der Umbau des Wohnungsbestandes mit der infrastrukturellen Ertüchtigung verbunden werden kann.
Für den Deutschen Städtetag war bei der Konferenz Hilmar von Lojewski, Beigeordneter und Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr, vertreten. Zur Bedeutung von Großsiedlungen für die Schaffung von Wohnraum sagte von Lojewski:
"Großsiedlungen wandeln sich zu Zukunftsquartieren für bezahlbaren Wohnungsbau in den Städten. Die Infrastruktur in den Großsiedlungen ist ein wesentlicher Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge und daher im besonderen Fokus der Kommunen. Wir benötigen mehr ganzheitliche Quartierskonzepte und einen integrierten Förderansatz durch Bund und Länder, damit die Städte liefern können, was erforderlich ist für Bildung, Gesundheit, Betreuung und sozialen Zusammenhalt.“
Pressemitteilung des Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. mit dem Statement von Hilmar von Lojewski
Urbane Infrastrukturen in Großsiedlungen – vor welchen Herausforderungen stehen wir?
Jahrestagung des Kompetenzzentrums Großsiedlungen mit Bundesbauministerin Klara Geywitz am 17. Oktober im Freizeitforum Marzahn
Beim Umbau ist ebenso wie beim ergänzenden Wohnungsbau im Bestand der Großsiedlungen darauf zu achten, dass die Infrastruktur nicht hinter den veränderten Bedarfen zurückbleibt. Das betrifft vor allem Kitas und Schulen. Aber auch viele der über den Grundbedarf hinausgehenden Angebote an urbaner Infrastruktur müssen mit der Ertüchtigung und Erweiterung des Wohnungsbestandes Schritt halten (ÖPNV, Gewerbe, Gesundheit, Kultur, Dienstleistungen).
Am 17. Oktober wurde in Berlin – Marzahn diskutiert, wie der Umbau des Wohnungsbestandes mit der infrastrukturellen Ertüchtigung verbunden werden kann.
Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, wies darauf hin, dass sowohl der städtebauliche und baukulturelle Wert der Siedlungen als auch die schiere Dimension des Bestandes und seine Bedeutung für die soziale Wohnraumversorgung die Aufmerksamkeit des Bundes erfordern:
"Großsiedlungen wie Marzahn bieten vielen Menschen ein Zuhause und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum. Viele Menschen sind hier verwurzelt und haben zahlreiche Veränderungen miterlebt. Wir müssen diese Viertel daher besonders in den Blick nehmen und bei den Veränderungen unterstützen, damit die Anbindung an den ÖPNV funktioniert, Parks und Spielplätze geschaffen werden und ausreichend Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Sport- und Kulturangebote zu Verfügung stehen. Die Infrastruktur muss sich immer wieder an die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner eines Viertels anpassen. Mit unserer Städtebauförderung, für die rund 790 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen, und mit weiteren Programmen zur Sanierung von Sportstätten oder Schwimmhallen unterstützen wir die Entwicklung und Modernisierung der Quartiere. In Marzahn ist viel zum Positiven bewegt worden. Das Kompetenzzentrum, das eine wichtige Arbeit leistet, weil es Erfahrungen weitergibt und den Austausch organisiert, hat Entscheidendes dazu beigeragen."
Im Mittelpunkt: Bildungsförderung und soziale Infrastruktur
Die Marzahner Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic bekräftigte ebenso wie Staatssekretär Stephan Machulik aus der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen den Anspruch, dass die Angebote an Freizeitmöglichkeiten, kulturellen Angeboten und sozialer Betreuung in jenen Quartieren am besten sein müssen, wo die größten Integrationsleistungen schultern.
Daran knüpfte Hilmar von Lojewski, Beigeordneter des Deutschen Städtetages, an: "Großsiedlungen wandeln sich zu Zukunftsquartieren für bezahlbaren Wohnungsbau in den Städten. Die Infrastruktur in den Großsiedlungen ist ein wesentlicher Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge und daher im besonderen Fokus der Kommunen. Wir benötigen mehr ganzheitliche Quartierskonzepte und einen integrierten Förderansatz durch Bund und Länder, damit die Städte liefern können, was erforderlich ist für Bildung, Gesundheit, Betreuung und sozialen Zusammenhalt."
Großsiedlungen als Vorreiter beim Klimaschutz
Wurden in den 1990er Jahre die Großsiedlungen als "Dinosaurier" eines überkommenen Wohnungsbaus belächelt und diskreditiert, so hat sich der Blick vor dem Hintergrund des Klimawandels verändert: Großsiedlungen sind durch die Verbindung von kompaktem Wohnen, großzügigem Freiraum und zentraler Energieversorgung potenzielle Vorreiter auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Wie das konkret gelingen kann, zeigten die vorgestellten Beispiele.
Tobias Wolfrum, Geschäftsführer der Stadtwerke und der kommunalen Wohnungsgesellschaft Jenas schilderte, wie sich die Plattenbausiedlung Lobeda dank der Ansiedlung neuer Arbeitsplätze, neuem Zentrum und der Bedarfsanpassung der sozialen Infrastruktur zu einem attraktiven nachgefragten Stadtteil Jenas entwickelt hat.
Jörn – Michael Westphal zeigte als Geschäftsführer der ProPotsdam GmbH, auf welchem Wege der Umbau der Großsiedlung Drewitz von der autogerechten Stadt zu einer Gartenstadt mit zentralem grünem Boulevard gelungen ist. Das Thema „neue Mobilität“ wurde von Claudius Oleszak, TAG Immobilien AG anhand innovativer Konzepte für Gera – Lusan vertieft.
Wie Infrastruktur und Wohnungsbau bei der Quartierserneuerung zusammenspielen, zeigte Dr. Matthias Rasch, Geschäftsführer der Trave GmbH, anhand der Lübecker Großsiedlung Moissling.
Viel Beachtung fand ein neues Hochhaus des Beamten-Wohnungs-Vereins Berlin e.G. in der Gropiusstadt, das in den Untergeschossen großzügigen Raum für Dienstleistungen bietet. Sein Bau wurde verbunden mit einer das ganze Quartier umfasssenden Wohnumfeldgestaltung und einer Begegnungsstätte für die vorhandenen Nachbarschaften, wie Bauherr Andreas Bettin und Architekt Eike Becker gemeinsam schilderten.
Vom "Dinosaurier" zum Zukunftsquartier
Dr. Bernd Hunger vom Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. fasste die abschließende Podiumsdiskussion zusammen: "Großsiedlungen haben Zukunft. Sie sind besser an die Notwendigkeiten der Klimaneutralität anpassbar als andere Quartierstypen. Gleichzeitig sind Integrationsprobleme in den Nachbarschaften nicht zu übersehen. Sie werden infolge von Zuwanderung und sozialer Ausdifferenzierung nicht kleiner."
Die Großsiedlungen sind ein entscheidendes gesellschaftliches Lernfeld dafür, ob und wie sozialer und kultureller Zusammenhalt in vielfältig zusammengesetzten Nachbarschaften gelingen kann. Deshalb waren sich alle Beteiligten einig: die Diskussion wird weitergehen.