Städtetag aktuell 1|2024
07.02.2024

Tempolimits: Gesetzgeber steht Kommunen weiter im Weg

Thomas Dienberg, Stadt Leipzig, und Frauke Burgdorff, Stadt Aachen

Die Initiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten" setzt sich seit ihrer Gründung für mehr kom­munalen Handlungsspielraum und ein zeitgemäßes Straßenverkehrsrecht ein. Zunächst mit Erfolg: Reformentwürfe von Straßenverkehrsgesetz und Straßen­verkehrsordnung standen vergangenen November vor der Verabschiedung im Bun­desrat. Dort wurde das Vorhaben jedoch zunächst gestoppt.

Beim Thema Tempolimits sitzen die Exper­ten vor Ort: lokale Politik und Verwaltungen wissen am besten, wo innerorts der Schuh drückt. Viel daran ändern können Sie jedoch häufig nicht. Das Straßenverkehrsrecht setzt den Kommunen viel zu enge Grenzen. Die Leichtigkeit des (motorisierten) Verkehrs genießt weiter Vorrang vor allen anderen Aspekten wie Sicherheit, Gesundheit oder Klimaschutz. Daran geändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig. Die Entscheidung im Bundesrat ist vor diesem Hintergrund aus Sicht der Initiative nicht vermittelbar.

Über die Initiative:

gegründet im Juni 2021 von den sieben Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm engagieren sich – Stand heute – 1034 Gemeinden, Städte, Landkreise und eine Region über alle Parteigrenzen hinweg und in ganz Deutschland für mehr kommunalen Gestaltungsspielraum. In den Städten und Gemeinden der Initiative leben rund 40 Millionen Menschen.

www.lebenswerte-staedte.de

Wie sehr Kommunen die Hände gebunden sind, zeigt die Ausnahmeregel für bestimmte soziale Einrichtungen, eigentlich eine gute Idee. Seit 2016 erlaubt der Gesetzgeber die Anordnung von Tempolimits unter ande­rem vor Schulen, Kitas und Altenheimen, ohne dass dort aufwändig und teuer eine besondere Gefahrenlage nachgewiesen werden muss.

Der Haken an der Sache: der Eingang der Einrichtung muss direkt an der Straße liegen, auf der Tempo 30 gelten soll. In den Kom­munen der Initiative gibt es hunderte Fälle, wo die Gesetzeslage so den einfachen und effektiven Schutz von Fußgängern und Radfahrern verhindert.

Ein Beispiel aus Leipzig: der Weg von und zu sieben sozialen Einrichtungen und einem Einkaufzentrum kreuzt die Zwickauer Straße im Süden der Stadt. Eine Möglichkeit für die Kommune, hier mit Tempo 30 für mehr Sicherheit zu sorgen, gibt es derzeit nicht. Mehrere Anläufe aus der Bürgerschaft hierzu musste die Straßenverkehrsbehörde aus rechtlichen Gründen ablehnen. Dabei liegen die Vorteile geringerer Höchstgeschwindigkeiten auf der Hand. So steht ein Auto abgebremst aus Tempo 30 längst, bevor der Bremsvorgang bei Tempo 50 überhaupt begonnen hat. Allein schon die Abroll-geräusche der Reifen sorgen dafür, dass "langsamer" automatisch "leiser" bedeutet. Unbestreitbar sind auch die positiven Effekte auf Umwelt- und Klimaschutz. Nicht zuletzt geben Tempolimits Stadt- und Verkehrs­planern Möglichkeiten an die Hand, ihre Kommunen besser, weil lebenswerter zu gestalten.

Darüber hinaus werden im Straßenverkehrs­recht vielfach weitere Themen reguliert. Beispiele hierfür sind die Anordnung von Bewohnerparken, von Fußgängerüberwegen oder von Busspuren. Die Initiative fordert auch hier die Schaffung von zielgerichteten, flexiblen und ortsbezogenen Handlungsspielräumen für die Kommunen – genau so, wie es die Menschen vor Ort brauchen und wollen.

Den häufig skizzierten Kulturkampf zwischen Tempobefürwortern und Initiative gibt es indes nicht. Eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 ist nicht das Ziel. Es geht darum, so einfache und effektive Instrumente wie Tempolimits dort einsetzen zu dürfen, wo sie wirklich gebraucht werden. Der Entwurf der Straßenverkehrsordnung galt vor diesen Hintergründen nicht als ambitioniert. Umso unverständlicher, dass die Novelle bisher auf der Strecke geblieben ist. Deshalb müssen sich Bund und Länder schnell im Vermittlungsausschuss an einen Tisch setzen, um die notwendigen Veränderungen endlich auf den Weg bringen. Nicht nur die Menschen in den weit über 1000 Mitgliedskommunen der Initiative warten darauf.


Thomas Dienberg
Sprecher der Initiative "Lebens­werte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten",
Bürgermeister und Beigeordneter für Stadtent­wicklung und Bau Leipzig


Frauke Burgdorff
stellv. Sprecherin der Initiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten",
Stadtbaurätin und Beigeordnete für Stadtentwicklung, Bau und Mobilität Aachen

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Dieser Text ist erschienen in Städtetag aktuell 1|2024, Schwerpunkt Mobilität

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