Der heiße Brei droht kalt zu werden
Seit Monaten steht er dampfend auf dem Tisch, der heiße Brei, auch genannt Ausbau- und Modernisierungspakt (AMP) für die "Öffis" und im Koalitionsvertrag niedergelegt. Eingerührt ist jede Menge Expertise von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden: Die Qualitätskriterien und Standards für Angebote und Erreichbarkeit urbaner und ländlicher Räume, die Tarif- und Finanzierungsstrukturen und die Kriterien zur Transparenz, was mit welchen Mitteln passiert. Und längst sollte er gegessen, sprich unterschrieben sein. Aber die eigentliche Substanz des Breis und sein Geschmacksträger, dass sich nämlich nach dem Willen der Ampelkoalition "Bund, Länder und Kommunen über die Finanzierung des ÖPNV bis 2030 einschließlich der Eigenanteile der Länder und Kommunen und die Aufteilung der Bundesmittel verständigen", sind mit dem Bundeshaushalt 2024 in noch weitere Ferne gerückt.
Das ist fatal und für alle Beteiligten fraglos auch frustrierend. Denn wenn die Hauptzutat fehlt – die langfristige Klärung, wie wir in Deutschland den ÖPNV ausfinanzieren wollen – nutzen auch immer neue Ingredienzen in Form von Extrakten aus der Politikküche, Expertisen aus der Wissenschaftsküche und endlosen Exkursen der Arbeitsgruppen aus der föderalen Küche wenig. Dabei gerät aus dem Blick – ohne einen massiven Ausbau, die Modernisierung und die Diversifizierung des ÖPNV in Städten und Regionen wird der Verkehrssektor seine Hausaufgaben zum Klimaschutz weder bis 2030 noch bis 2045 erledigen können. Das haben selbst die überzeugtesten Anhänger der Antriebswende bei Pkw und Lkw in der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) einmütig konzediert. Hinzu treten Vorteile bei Lebens- und Umweltqualität, die ein ausgebauter und modernisierter ÖPNV liefern kann. Und das natürlich immer in Verknüpfung mit der individuellen Mobilität, ob per Muskel, per Elektrizität und bis 2050 gewiss auch noch in Grenzen fossil betrieben.
"... ohne einen massiven Ausbau, die Modernisierung und die Diversifizierung des ÖPNV in Städten und Regionen wird der Verkehrssektor seine Hausaufgaben zum Klimaschutz weder bis 2030 noch bis 2045 erledigen können."
Wo liegt der Schlüssel eines Ausbau- und Modernisierungspakts für den ÖPNV bis 2030 – oder besser: Wie ist der dreistellige Code zu einer nachhaltigen Mobilität mit einem starken ÖPNV für alle zu knacken?
Erstens – durch ein "Bessere-Öffis-Gesetz". Dafür muss das Regionalisierungs-gesetz explizit um Ausbau- und Modernisierung ergänzt und der Beitrag des Bundes hierfür definiert werden. Denn das Regionalisierungsgesetz muss systematischer "aufgebohrt" werden für seine vielfältigen Funktionen. Es war einmal für die Bestellung des Regionalverkehrs der Länder konzipiert worden. Heute ist es ein "Viele-Buchstaben-Gesetz", das selbst Expertinnen und Experten der ÖPNV-Finanzierung nur mit Anlauf durchdringen – Coronaschutzschirm, Kostenkompensation für Energiepreise und Inflation, Defizitkompensation für das Deutschlandticket. In der Summe viel Geld, bis 2030 mit einem Aufwuchs auf über 17 Milliarden Euro. Das sind aber keine substanziellen Mittel für Ausbau und Modernisierung, dem eigentlichen politischen Ziel.
Zweitens – durch die Erkenntnis, dass angesichts eines Finanzierungsbedarfs von circa 70 Milliarden Euro für Ausbau und Modernisierung der Öffis bis 2030 diese Aufgabe der Daseinsvorsorge nur durch die öffentliche Hand erfolgen kann. Alle anderen Finanzierungsformen für den Ausbau- und Modernisierungpakt bleiben Flickwerk. Ausweichversuche zur Finanzierung des ÖPNV zum Beispiel durch City-Maut, durch dritte Nutzer, also den privaten Sektor und eine umfassende europäisch verfasste Straßen-nutzungsgebühr, können der Aufgabe nicht gerecht werden. Sie wirken nur punktuell, stoßen auf Widerstand oder brauchen zu lange.
Drittens – durch klare Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern, Regionen und Kommunen. Fraglos ist die Klage über unklare Zuständigkeiten und Schnittstellen und zu wenig gehobene Synergien berechtigt. Das müssen alle Ebenen besser machen, um Ausbau und Modernisierung auch der Öffis effektiv wie effizient zu liefern.
Entscheidungen hierüber standen laut Verkehrsministerkonferenz Anfang 2023 an. Für 2024 wird trotz der aktuellen Rahmenbedingungen hoffentlich noch etwas zu entscheiden sein. Entscheidungen 2025 bedeuten, dass Wirkungen sich frühestens ab 2028 einstellen. Der heiße Brei droht kalt und ungenießbar zu werden. Und wenn nicht der ganze Brei erhitzt werden kann, dann braucht es reichlich heiße Soße aus dem Klima- und Transformationsfonds – aber um dessen Temperatur steht es leider auch nicht zum Besten.
Hilmar von Lojewski
Beigeordneter des Deutschen Städtetages,
Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr