Mobilität neu denken!
Staus, Klimakrise, Lärm- und Umweltbelastungen zeigen deutlich: Die Verkehrspolitik muss umsteuern, damit unsere Städte auch zukünftig attraktive Wohn-, Arbeits- und Lebensstandorte sind. Dafür bedarf es einer Verkehrswende, bei der den Städten eine tragende Rolle zugesprochen wird. Um dieser gerecht zu werden, brauchen sie allerdings die Unterstützung der Bundespolitik.
Tatsächlich vollziehen Städte und Gemeinden als zentrale Akteure seit einigen Jahren die schrittweise Abkehr einer primär auf den motorisierten Individualverkehr (MIV) ausgerichteten Verkehrsplanung. Viele Städte haben dazu in ihren Verkehrsent-wicklungsplänen oder Mobilitätskonzepten ambitionierte Ziele formuliert, wie beispielsweise den MIV zu reduzieren und in Richtung Umweltverbund (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) zu verlagern.
"Für die Städte sollte es Ziel sein, Mobilität auch ohne eigenes Auto zu ermöglichen und somit die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen zu verbessern."
Und so ist, trotz der nach wie vor herrschenden Dominanz des Autos, das Verkehrsangebot vieler Städte in den vergangenen Jahren vielfältiger und multimodaler geworden. Der Radverkehr hat deutlich zugenommen. Sharing-Angebote wie Car- und Bikesharing differenzieren sich aus, ergänzt um die kontrovers diskutierten E-Scooter als weitere Mobilitätsoption. Der ÖPNV wird vielerorts – auch jenseits der verdichteten Innenstädte – durch flexible On-Demand-Angebote ergänzt und ist durch das bundesweit eingeführte Deutschlandticket für die Nutzenden günstiger und attraktiver geworden.
Diese Erfolge der vergangenen Jahre führen in jüngster Zeit jedoch vermehrt zu Konflikten. Dabei geht es neben Fragen der Flächenverteilung und der gesellschaftlichen Akzeptanz auch um die soziale Dimension von Mobilität. Wie kann sichergestellt werden, dass auch in Zukunft möglichst alle sozialen Gruppen in der Stadt sicher mobil sein können?
Hier entstehen unvermeidlich Auseinandersetzungen, da bisherige Nutzungen, Routinen und auch Privilegien – meist von den Pkw-Nutzenden – gestört oder entzogen werden und bisweilen lautstarke Proteste nach sich ziehen. Es treten Zielkonflikte zutage – etwa zwischen denen, die öffent-liche Räume verstärkt als Lebensraum oder für die aktive Mobilität beanspruchen und den Menschen, die ausschließlich das Auto für ihre alltäglichen Wege nutzen.
Für die Städte sollte es Ziel sein, Mobilität auch ohne eigenes Auto zu ermöglichen und somit die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen zu verbessern – und gleichzeitig auch die Anforderungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes sowie EU-Vorgaben zu Luftreinhaltung und Lärmschutz zu erfüllen.
Um das zu erreichen gilt noch immer, was seit Jahrzehnten bekannt ist: Nur mit einer integrierten "Push- und Pull-Strategie" kann die urbane Mobilitätswende gelingen. Neben neuen Mobilitätsangeboten bedarf es klarer und restriktiver Regelungen für den motorisierten Individualverkehr. Wie genau der Weg dorthin auszugestalten ist, ist und bleibt Gegenstand kontroverser gesellschaftlicher Debatten. Aktuell erscheint die Mobilitätswende vom politischen Diskurs wenig begünstigt – sowohl auf Bundesebene als auch in vielen Städten. Die dabei zutage tretenden Konflikte sollten jedoch nicht als Scheitern wahrgenommen werden. Veränderungen rufen Widerstände hervor. Diese legen sich jedoch oftmals nach der Umsetzung – und mit dem Einsetzen einer Gewöhnung, wie Erfahrungen verschiedener Städte zeigen.
Für eine erfolgreiche lokale Verkehrswende gibt es keine Blaupause. Jede Kommune wird für sich prüfen müssen, wie sie den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen vor Ort gerecht werden will. Diese ohnehin schon schwierige Aufgabe wird erschwert durch ein nicht mehr zeitgemäßes Straßenverkehrsrecht, dass vordergründig die "Sicherheit und Flüssigkeit" des Autoverkehrs als Regelungsziel formuliert und dabei die kommunalen Handlungsspielräume, Verkehr zu steuern und Mobilität zu gestalten, massiv einschränkt. Eine Reform des Gesetzes wurde erarbeitet, passierte im Herbst vergangenen Jahres den Bundestag und ist im November 2023 vom Bundesrat gestoppt worden. Auch wenn der vorliegende Entwurf aus Sicht der Städte "noch nicht der große Wurf" gewesen sei, sei er dennoch ein "erster Schritt, den Städten mehr Entscheidungsspielraum zu geben bei der Verkehrsplanung und Verkehrssteuerung." (Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutscher Städtetag).
Das Scheitern im Bundesrat ist aus Sicht vieler Städte, Gemeinden und Landkreise enttäuschend. Nicht minder enttäuschend und ein weiterer Rückschlag für die Mobili-tätswende sind die gerade beschlossenen Kürzungen der Ampel-Regierung für den Bundeshaushalt 2024. Demnach sollen Finanzmittel für klimafreundlichen Radverkehr ebenso gestrichen werden wie für die nötige Finanzierung der Bahn.
Ein herber Dämpfer für den klimafreundlichen Verkehr der Zukunft, der zudem die Bemühungen und sichtbaren Erfolge der Städte und Gemeinden konterkariert. Der Rückenwind, den die Kommunen für die notwendige Transformation benötigen, bleibt ihnen somit vorerst verwehrt.
Dipl.-Geogr. Anne Klein-Hitpaß
Leiterin Fachbereich Mobilität, Deutsches Institut für Urbanistik