Deutschland-Angebot muss in Deutschland-Qualität folgen
Seit dem 1. Mai 2023 gilt in jeder deutschen Stadt ein und dasselbe Ticket. Das ist auf den ersten Blick nicht weniger als eine Revolution der bisherigen Tariflandschaft im Nahverkehr. Das Deutschland-Ticket hat sich als signifikanter Schritt in der Förderung öffentlicher Mobilität in Deutschland erwiesen, mit zwei Großeffekten: Erstens, Stammfahrgäste und Neukundinnen und -kunden werden wirtschaftlich entlastet in schwierigen Zeiten und zweitens, die klimafreundliche Mobilität mit Bus und Bahn steigt – mit verbundüberschreitenden, längeren, häufigeren Fahrten. Mit einem monatlichen Preis von 49 Euro ermöglicht das D-Ticket den unbegrenzten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln und knüpft an den Erfolg des früheren 9-Euro-Tickets an – und dessen zentrale Erkenntnis, dass die Fahrgäste ein Flatrate-Modell für den ÖPNV zu schätzen wissen.
Doch nichts an diesem Angebot der bundesweiten Fahrberechtigung der zweiten Klasse ist in Stein gemeißelt, organisatorisch vollendet, langfristig finanziert. Tatsächlich brauchen wir nach der Einführung des Deutschland-Tickets nun eine verlässliche Perspektive über ein standardisiertes Deutschland-Angebot in Deutschland-Qualität des ÖPNV überall und für alle in unseren Städten.
Bislang haben rund zehn Millionen Menschen ein Abonnement für das Deutschland-Ticket abgeschlossen. Nach einem starken Anstieg der Verkaufszahlen im Vorverkauf und dann zum Start ab Mai ist nun eine gewisse Sättigung im Markt erreicht, was auch daran liegt, dass bislang Zielgruppen – etwa Studierende, Familien, Hundebesitzer, 1. Klasse-Reisende – noch nicht passgenau angesprochen werden können. Ein wesentlicher Hemmschuh ist auch, dass die stetige Berichterstattung über die nicht langfristig gesicherte Finanzierung potenzielle Fahrgäste und Arbeitgeber, die sich für das rabattierte D-Ticket Job für ihre Belegschaft interessieren, davon abhält, eine nachhaltige Mobilitätsänderung zu vollziehen.
Eine bundesweite Marktforschung von Bund und Ländern, koordiniert durch den Branchenverband VDV, zeigt, dass das Deutschland-Ticket vor allem in Großstädten Anklang findet, wo 20 bis 30 Prozent der Befragten das Ticket besitzen, im Vergleich zu nur sechs Prozent in kleineren Städten und ländlichen Gebieten. Dies deutet auf die Notwendigkeit hin, das öffentliche Verkehrsangebot auch außerhalb großer Städte attraktiver zu gestalten.
Das größte Risiko des D-Tickets bleibt seine Finanzierung. Die Branche steht vor einer Finanzierungslücke, die sich 2024 auf hunderte Millionen Euro belaufen könnte. In diesen Tagen, ohne einen beschlossenen Bundeshaushalt, sind die Risiken für die Verkehrsunternehmen in den Städten größer denn je. Diese Herausforderung wird durch die derzeitige Unklarheit über die zukünftige Lastenteilung zwischen Bund und Ländern verschärft.
Unbestritten ist, dass das Deutschland-Ticket bereits einen Beitrag zur Verkehrswende leistet, da etwa fünf Prozent aller Fahrten, die mit dem Ticket unternommen werden, sonst mit dem Auto erfolgt wären. Es hat auch eine erhöhte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zur Folge, wobei die Zahl der Fahrgäste im Bahn-Regionalverkehr um 18 Prozent gestiegen ist.
"Tatsächlich brauchen wir nach der Einführung des Deutschland-Tickets nun eine verlässliche Perspektive über ein standardisiertes Deutschland-Angebot in Deutschland-Qualität des ÖPNV überall und für alle in unseren Städten."
Ein wesentlicher Aspekt, der die Akzeptanz des Tickets beeinflusst, ist sein Preis. Während der Preis für einige ein Kaufanreiz ist, stellt er für andere, insbesondere für einkommensschwächere Gruppen, eine Hürde dar. Doch wenn Bund und Länder zur Deckelung der öffentlichen Co-Finanzierung des Tickets eine solche Preiserhöhung beschließen, dann ist das aus Sicht der Branche nachvollziehbar. Diese sollte aber nach Möglichkeit erst Anfang 2025 erfolgen, um im Einführungszeitraum 2023/2024 stabile Preise zu haben. Damit besteht zudem die Möglichkeit, dem generell wachsenden Finanzbedarf durch Steigerungen bei Personal-, Energie- und Betriebskosten im ÖPNV gerecht zu werden.
"Oberstes Ziel der Branche bleibt es, das Deutschland-Ticket zum dauerhaften Erfolg zu machen und dafür möglichst viele Kundinnen und Kunden zu gewinnen, die dieses Ticket nutzen."
Oberstes Ziel der Branche bleibt es, das Deutschland-Ticket zum dauerhaften Erfolg zu machen und dafür möglichst viele Kundinnen und Kunden zu gewinnen, die dieses Ticket nutzen. Die Verkehrsunternehmen und Verbünde tun alles dafür, um das Deutschland-Ticket dauerhaft zu stärken. Dazu zählen unter anderem ein starkes bundesweites Werben für das Ticket und ein starker Vertrieb. Vor allem beim Deutschland-Ticket Job sieht die Branche noch erhebliches Wachstumspotenzial, das es zu heben gilt.
Die anhaltende Beschäftigung mit dem Ticket verstellt nun bereits seit vielen Monaten den Blick auf den Bedarf des ÖPNV-Angebotes und der Qualität in den deutschen Städten. Dabei ist mit dem Ausbau- und Modernisierungspakt im Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin das passende Werkzeug vorhanden. Der VDV betont die Dringlichkeit einer umfassenden Investition in die ÖPNV-Infrastruktur seit Jahren.
Laut einer Difu-Studie beläuft sich der Nachhol- und Ersatzbedarf bei der kommunalen ÖPNV-Infrastruktur bis 2030 auf 64 Milliarden Euro. Zusätzlich besteht ein Bedarf von etwa 4,5 Milliarden Euro für den Ausbau der kommunalen ÖPNV-Infrastruktur. Die Branche fordert eine jährliche Anhebung der GVFG-Mittel auf mindestens drei Milliarden Euro ab 2025, um den Ausbau und die Modernisierung der kommunalen ÖPNV-Netze zu unterstützen. Diese Investitionen konzentrieren sich auf die Sanierung und den Ausbau von U-Bahn- sowie Stadt- und Straßenbahnstrecken.
Das Deutschland-Ticket hat positive Auswirkungen auf die Mobilität in deutschen Städten und trägt zur Verkehrswende bei. Es bedarf jedoch einer kontinuierlichen Anpassung und Verbesserung, insbesondere in Bezug auf seine Finanzierung, Preisgestaltung und das zugrundeliegende verkehrliche Angebot. Die Diskussion um seine Zukunft und seine Rolle in der städtischen Mobilität bleibt somit von zentraler Bedeutung für die Städte. Dem Deutschland-Ticket muss das Deutschland-Angebot in Deutschland-Qualität folgen. Gemeinsam. Für alle. Überall.
Ingo Wortmann
Präsident Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
www.vdv.de