"Begegnung auf Augenhöhe"
Bereits vor dem Fall der Mauer wurden zahlreiche innerdeutsche Städtepartnerschaften geschlossen und auch nach der Wende wuchs die Zahl an. Auch heute werden die Partnerschaften noch gepflegt. Zum Tag der Deutschen Einheit sprach Städtetags-Präsident Markus Lewe, Oberbürgermeister aus Münster, mit mdr Aktuell darüber, wie sich Menschen in Ost und West weiter annähern können.
mdr Aktuell: Wann waren Sie zum ersten Mal im Osten?
Markus Lewe: Ganz ehrlich war ich 1980 zum ersten Mal in Ost-Berlin, das war schon ein großer Unterschied, den ich damals so wahrgenommen habe. Ich bin tatsächlich am 9. November 1989 zufällig in Berlin gewesen und sogar nachts noch auf der Mauer gewesen. Das hat mich auch tief geprägt, möglicherweise auch mein politisches Leben.
mdr Aktuell: Also besondere Erlebnisse, die Sie auch heute am 3. Oktober weitertragen.
Markus Lewe: Ja unbedingt, ich finde, das ist ein ganz wichtiger Feiertag und den zelebrieren wir auch. Ich bin ja Oberbürgermeister von Münster. Und wir haben kurz vor der Wende eine Städtepartnerschaft zu dem schönen Ort Mühlhausen in Thüringen geschaffen. Gestern Abend haben wir zum Beispiel eine gemeinsame Feierstunde erlebt. Das machen wir immer im Wechsel, mal in Mühlhausen, mal in Münster, das ist eine sehr schöne Begegnung und deshalb haben wir immer gesagt, dieser Tag der Deutschen Einheit muss auch gelebt werden, nicht mit Sonntagsreden, sondern durch persönliche Kontakte. Letztes Jahr waren wir in Mühlhausen, da war auch ein super Programm, mit Schülerinnen und Schülern in einer profanierten Kirche, das hat uns alle sehr bewegt und ich finde solche Städtepartnerschaften leben auch von solchen Ereignissen.
mdr Aktuell: Ich hab ja eben von diesem Gefühl gesprochen, dass die gegenseitigen Vorurteile noch zunehmen würden.
Markus Lewe: Ich glaube, das ist eigentlich bei jeder menschlichen Begegnung: Wir reden immer über "die Menschen" in Ostdeutschland, wir reden über Menschen, aber wir müssen ja mit den Menschen sprechen, und ich finde in den Gesprächen, die geführt werden, wächst Respekt und auch Staunen. Also mir ist das zum Beispiel so ergangen, durch die vielen persönlichen Begegnungen, die ich auch hatte, auch mit älteren Menschen aus der ehemaligen DDR, dass ich manchmal echt staune und denke: Wie haben die das trotz allem, trotz der Restriktionen geschafft, sich irgendwie zurecht zu finden, manchmal auch über Schwarzarbeit, über Tauschhandel und andere Dinge, aber dann doch auch irgendwie zu gucken, dass man sich zurecht gerückt hat. Da muss ich wieder feststellen, dass ich da einen großen Respekt vor habe. Oder ich habe eine Begegnung gehabt, wo mir ein älterer Herr erzählt hat, der damals in einer Frucht-LPG gearbeitet hat, dann nach der Wende einen jungen Vorgesetzten bekommen hat, der dann scheinbar alles besser zu wissen schien und das hat diesen Mann richtig krank gemacht. Das war vielleicht auch ein Problem, dass bei aller Hilfsbereitschaft und bei all dem was damals da war, es eben nicht auf Augenhöhe geschehen ist. Ich finde, diese Beziehung, dieses wunderbare Glück der Deutschen Einheit verdient es, dass Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Das ist im Übrigen bei allen Dingen so, das betrifft auch Nord-Süd und vieles andere. Das lebt eben einfach von dem Zuhören, sich drauf einlassen und dem Staunen, da wo Staunen erforderlich ist.