"Wir sind die Experten für die Transformation vor Ort"
#stadtvonmorgen: Wenn Sie auf die tiefgreifenden urbanen Transformationsthemen schauen: Welches sind aus Ihrer Sicht die zentralen Aufgaben, die sich den Städten und Gemeinden derzeit stellen?
Helmut Dedy: Klimaneutralität und Klimaanpassung sind die Ziele. Dafür wird in den Städten gerade an vielen Stellschrauben gedreht. Die drei großen Themen sind die Wärmewende, die Verkehrswende und der Gebäudebereich. Für die Wärmewende werden viele Städte über die kommenden Jahre und Jahrzehnte neue Wärmenetze bauen, Stromnetze ausbauen und Gasnetze zum Teil zurückbauen müssen. Auch die Verkehrswende ist komplexer als viele denken. Da geht es ja nicht nur um E-Autos, sondern auch um neue Verkehrssysteme, neue Verkehrsplanung und den nachhaltigen ÖPNV-Ausbau. In einer Zeit, in der wir gerade nicht einmal wissen, wie wir finanziell überhaupt den Status Quo bei Bussen und Bahnen halten sollen, müssen wir eigentlich zeitgleich unsere Flotten auf E-Mobilität umstellen und die entsprechende Ladeinfrastruktur schaffen. Ich kenne niemanden aus der Bundes- oder Landespolitik, der mir erklären kann, wie das gehen soll.
Und bei Gebäuden geht es zum einen natürlich um die energetische Sanierung. Zum anderen geht es künftig um eine andere Art des Bauens und der Gebäudenutzung. Welche Gebäude können wir für eine stärkere Mischnutzung umbauen, statt neue Gebäude zu bauen? Wie können wir noch mehr erneuerbare Energien in den Städten erzeugen? Mit Photovoltaik auf den Dächern zum Beispiel.
#stadtvonmorgen: Vor welchen markanten Hürden und Herausforderungen stehen die Kommunen bei der Bewältigung dieser Transformationsprozesse?
Helmut Dedy: Ich könnte jetzt sagen, die Finanzierung ist die große bisher nicht gelöste Herausforderung. Das ist im Kern auch so. Ich will aber noch einen anderen Aspekt ansprechen: Wir stehen vor Ort in den Städten vor der Aufgabe, den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln zu müssen, was wir tun und warum. Wärmewende, Energiewende, Verkehrswende – das klingt so abstrakt. Konkret bedeutet das aber, wir graben die halbe Stadt um. Jede aufgerissene Straße und jeder Parkplatz, der wegfällt, ist eine kommunikative Herausforderung. Das bekommen wir in den Städten hin, aber manchmal habe ich schon das Gefühl, dass Bund und Länder diese Herausforderung nicht auf dem Schirm haben. Gesetze zu verabschieden ist manchmal vielleicht doch leichter, als sie umzusetzen.
#stadtvonmorgen: Was erwarten Sie sich von den höheren staatlichen Ebenen – Bund und Ländern –, damit die Kommunen ihre Zukunftsaufgaben erfolgreich meistern können?
Helmut Dedy: Wir erwarten deutlich mehr finanzielle Unterstützung – und zwar langfristig. Außerdem würde es wirklich helfen, wenn Bund und Länder den Städten mehr Beinfreiheit geben. Wir sind die Experten für die Transformation vor Ort und wissen am besten, wo wir ansetzen müssen. Aber oft fehlt uns die Entscheidungskompetenz. Es gibt gute Ansätze in diese Richtung. Die geplante Novelle des Baugesetzbuches zum Beispiel. Mit ihr sollen die Handlungsspielräume für Kommunen bei Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen deutlich gestärkt werden. Ich hoffe deshalb sehr, dass die Novelle noch vor den Neuwahlen kommt.
#stadtvonmorgen: Welche drängenden Forderungen haben Sie diesbezüglich an den Bund? Und speziell mit Blick auf die aktuellen Turbulenzen und die anstehenden Wahlen: Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung für die nächste Legislaturperiode?
Helmut Dedy: Für fast alle großen Transformationsaufgaben müssen die Städte, ihre Stadtwerke und ihre Verkehrsunternehmen gerade langfristige und richtungsweisende Investitionsentscheidungen treffen. Dafür brauchen wir Planungssicherheit. Wir können unsere Investitionen nicht alle vier Jahre je nach politischen Mehrheiten im Bund neu ausrichten. Uns würde es sehr helfen, wenn alle demokratischen Parteien im Bund ein gemeinsames Grundverständnis entwickeln, welche Veränderungsprozesse wir angehen. Klar, auf dem Weg können und müssen wir dann immer auch nachsteuern. Aber wenn eine Stadt jetzt die Entscheidung trifft, für die Wärmewende bei einem Quartier in Zukunft auf Fernwärme zu setzen, muss das auch über eine Legislatur im Bund hinaus abgesichert sein. Wir brauchen deshalb jetzt schon von allen Parteien im Bundestag das glasklare Bekenntnis, dass sich die Städte auch nach der Neuwahl auf Fördermittel und die Finanzzusagen des Bundes verlassen können – ganz gleich wer die neue Bundesregierung stellt.