"Integrationsfähigkeit der Städte darf nicht gefährdet werden"
Haben die letzten Bund-Länder-Beschlüsse den Streit um die Flüchtlingspolitik entschärft und die Belastung der Kommunen tendenziell verringert?
Es gibt Fortschritte, aber echte Entlastung sieht anders aus. Aktuell geht die Zahl der Asylanträge zurück, das hat aber mehr mit der Jahreszeit als mit den beschlossenen Maßnahmen zu tun. Bund und Länder haben sich inzwischen auf eine atmende Finanzierung geeinigt, die wir immer gefordert haben: Wenn mehr Geflüchtete kommen, gibt es auch mehr Mittel vom Bund.
Die aktuelle Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 Euro reicht aber nicht aus. Besonders für Integration brauchen wir mehr. Und die Länder müssen die zusätzlichen Mittel auch an die Kommunen weitergeben. Das ist häufig nicht der Fall.
Kann eine Obergrenze für den Flüchtlingszuzug helfen?
Wie sollten uns Debatten um eine Obergrenze in der aktuellen Situation helfen? Eine Obergrenze passt nicht in das derzeitige Recht der Zuwanderung.
Die Städte stehen zu ihrer humanitären Verantwortung. Wir bieten Menschen Schutz, die vor Krieg und Katastrophen zu uns fliehen. Wir sagen aber auch: Die Integrationsfähigkeit der Städte darf nicht gefährdet werden. Wir brauchen Entlastung.
Da müssen wir den Blick auf das richten, was heute schon möglich ist. Wir müssen Asylverfahren deutlich beschleunigen. In einigen Ländern dauern Verwaltungsgerichtsverfahren viel zu lange. Abgelehnte Asylbewerber ohne Bleibeperspektive müssen dann konsequent zurückgeführt werden. Damit das schneller klappt, brauchen wir mehr Migrations- und Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern.
Wie beurteilen Sie die Hängepartie um die Einführung der Bezahlkarte?
Verkündet wurde die Karte von Bund und Ländern im November, jetzt muss endlich geklärt werden, wie sie funktionieren soll. Der Bund will offenbar nur die gesetzliche Möglichkeit für eine Bezahlkarte schaffen, alle anderen Details wären offen. Wie viel kann bar abgehoben werden? Können nur bestimmte Waren gekauft werden? Gilt die Karte auch für bereits länger hier lebende Asylbewerber? Da wären dann die Länder am Zug, für einheitliche Regeln zu sorgen. Wir wollen keinen Flickenteppich.
Anderes Thema: Sind die deutschen Städte auf die Gefahr eines Kriegs ausreichend vorbereitet?
Ich denke, dass unsere Gesellschaft als Ganzes nicht wirklich darauf vorbereitet ist. Was die Städte angeht: Wir sind auf jeden Fall vorbereitet auf Krisen, auch auf Katastrophenfälle. In der Corona-Pandemie und bei der Gasknappheit im vorletzten Winter haben wir gezeigt, dass wir schnell reagieren können. Dafür muss aber der Rahmen stimmen. Bund und Länder haben in der Vergangenheit beim Zivil- und Katastrophenschutz zu viel gespart. Da muss wieder ausgebaut werden. Aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern muss wieder stärker ins Bewusstsein rücken, dass jeder selbst für den Ernstfall vorsorgen kann und muss. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat eine Checkliste, was jeder für den Notfall zuhause haben sollte. Von Wasser bis zu Batterien. Wir müssen uns an ein gewisses Maß der Eigenvorsorge gewöhnen.
Was braucht es für besseren Zivil- und Katastrophenschutz? Wie viel muss investiert werden und wer finanziert das?
Es ist schwer, eine Summe X zu nennen. Sprechen wir nur von klassischen Maßnahmen des Katastrophenschutzes, von Zelten und Sandsäcken? Oder sprechen wir zum Beispiel auch vom Schutz der kritischen Infrastruktur vor Cyberangriffen? Bei einem weit gefassten Ansatz kommen schon Milliarden zusammen. Die Städte werden das allein nicht finanzieren können. Wir dürfen aber nicht nur übers Geld reden.
Die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen im Krisenfall ist entscheidend. Da hapert es noch. Bei Krisen müssen alle Ebenen enger zusammenarbeiten.
2022 haben Bund und Länder das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz eingerichtet. Eigentlich eine gute Sache. Das kann aber nur gut funktionieren, wenn auch die Kommunen sinnvoll eingebunden werden. In jeder Krisenlage müssen die Städte als erste handeln, da können wir nicht als letzte gefragt werden. Dass die Kommunen bis heute beim Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz ihre Erfahrungen nicht einbringen können, ist ein schlechter Witz.
Zum Interview mit Helmut Dedy auf pnp.de