Konsequenzen aus der Flutkatastrophe
11.08.2021

"Der Klimaschutz muss endlich Fahrt aufnehmen"

Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, im Interview mit der Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK)

ZfK: Erst Corona, nun die Hochwasserkatastrophe. Was sind die Konsequenzen für die kommunale Daseinsvorsorge?

Helmut Dedy: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, der Laden läuft auch in schwierigen Zeiten. Auch während der Lockdowns wurde der Müll abgeholt, die Busse und Bahnen fuhren und die Wasserversorgung funktionierte reibungslos. Die Situation nach der Hochwasserkatastrophe ist anders: Abwasserkanäle, Stromleitungen sind unterbrochen, Gleise und Straßen unterspült. Viele Gebäude, auch in kommunaler Hand, müssen saniert oder komplett neu gebaut werden. Die kommunale Infrastruktur ist ein hohes Gut. Und da sind wir ganz schnell beim Geld. Die Schäden bewegen sich im Milliardenbereich. Die Planung für den Wiederaufbau, Entscheidungen zu Standorten und der Wiederaufbau selbst werden die betroffenen Städte noch lange beschäftigen. Bund und Länder haben finanzielle Unterstützung dafür zugesagt. Das ist gut. Aber klar ist auch – nicht nur in Extremsituationen müssen Kommunen finanziell gut ausgestattet sein, um in ihre Infrastruktur investieren zu können.

ZfK: Um welche konkreten Maßnahmen geht es denn nun beim Wiederaufbau und der künftigen Bau- und Flächenplanung, sei es beim Rückbau von Siedlungen oder der Umsetzung von Konzepten für "Schwammstädte"?

Helmut Dedy: Städte müssen den Klimaveränderungen gewachsen sein – Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit sind gefragt. Für den Wiederaufbau werden jetzt die Gefahren einer erneuten Überflutung abgeschätzt. Bei starker Überflutungsgefahr kann es dazu kommen, dass in bestimmten Lagen nicht mehr gebaut werden darf. Bestehende Planungen müssen dann korrigiert werden. Klimaveränderung bedeutet aber nicht nur Hochwasser. Das Konzept der Schwammstadt versucht zwei Phänomene zu verbinden – Starkregen mit erhöhter Hochwassergefahr einerseits und Dürreperioden mit Wassermangel anderseits. Das geht etwa mit mehr Grünflächen, weniger Versiegelung und dem Ausbau von Rückhaltebecken für Hochwasser. Städte renaturieren Wasserläufe, um den Flüssen und Bächen wieder mehr Raum zu geben. Zur Vorsorge gehört auch, die Bevölkerung über Gefahren aufzuklären. Deshalb entwickeln die Städte Gefahrenkarten, die zeigen, wo etwa bei Starkregen Überschwemmungen auftreten können und wie damit umgegangen werden kann.

ZfK: Die Hilfsbereitschaft für die von dem Extremhochwasser betroffenen Regionen ist überwältigend. Ein Fundus an gesellschaftlicher Solidarität und von zivilgesellschaftlichem Engagement, das verstärkt für die Daseinsvorsorge vor Ort – nicht nur in Extremsituationen – genutzt werden kann?

Helmut Dedy: Die Bereitschaft zu helfen war und ist hoch. Es ist ein gutes Zeichen, dass die meisten Menschen in unserem Land in dieser Extremsituation zusammenstehen. Die Städte leben von einer aktiven Bürgerschaft, die sich für ihr Viertel einsetzt. Nachbarschaften und Freundschaften wachsen dabei. Wenn wir nach Katastrophenlagen etwas von diesem Gemeinsinn in den Alltag übernehmen können, ist das ein großer Gewinn. Zum Beispiel, wenn sich mehr Menschen für Umwelt und Natur einsetzen, im Gewässerschutz engagieren oder Müll vermeiden.

ZfK: Oder brauchen wir als Anreiz für konkrete Verhaltensveränderungen im Bereich Klimaschutz, sei der Umstieg aufs Fahrrad, die Nutzung von Bussen und Bahnen oder klimafreundliches Heizen höhere CO2-Preise? Muss klimaschädliches Verhalten einen höheren Preis haben, und zwar möglichst bald?

Helmut Dedy: Der Klimaschutz muss endlich Fahrt aufnehmen. Die Städte sind dabei Vorreiter. Viele Kommunen wollen Klimaneutralität möglichst schnell erreichen. Dafür braucht es Anreize, aber auch Verpflichtungen. Der Preis für den Verbrauch von Klimagasen spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn dadurch wird teurer, was klimaschädlich ist. Die Debatte läuft ja gerade, der Deutsche Städtetag spricht sich dabei für einen Preis von mindestens 50 Euro pro Tonne CO2 aus. Er soll zeitnah Wirkung erzielen. Die Kunst wird darin liegen, diese finanzielle Last sozial verträglich zu gestalten. Klimaschutz darf nicht heißen, Menschen mit niedrigem Einkommen zu überfordern. Auch müssen die Anreize für mehr Klimaschutz verstärkt werden. Denken Sie an nachhaltiges Bauen oder an die Mobilität.

ZfK: Und was können die Kommunen neben dem Anreiz über den Geldbeutel tun, um die Energie- und Verkehrswende vor Ort stärker voranzubringen?

Helmut Dedy: Die Städte erstellen eigene Klimaschutzkonzepte. Es geht etwa um klimaschonende Energieversorgung und nachhaltige Mobilität. Auf dieser Basis werden neue und bessere Radwege gebaut, mehr Raum für Fußgänger geschaffen, klimafreundliche Busse beschafft, die Taktung des Nahverkehrs verbessert, die Verkehrssteuerung digitalisiert. Auch in Nischen tut sich etwas, so können Zuschüsse für Lastenräder für Gewerbetreibende ein Puzzlestein sein. Die Städte als Bauherren sind zudem Vorbild bei energetischen Sanierungen und dem energieeffizienten Neubau. Wichtig ist auch die kommunale Wärmeplanung, um die Wärmeversorgung neu zu gestalten. Zum Beispiel kann es sich lohnen, Abwärme von Unternehmen direkt in die Wärmeversorgung eines benachbarten Wohnviertels einzuspeisen. Die Städte haben beim Klimaschutz einen riesengroßen Werkzeugkasten.

ZfK: Bis wann rechnen Sie damit, dass die massiven Einbrüche bei den Fahrgastzahlen des ÖPNVs infolge von Corona zumindest wieder kompensiert werden und nach oben gebracht werden können?

Helmut Dedy: Das ist ein Thema, das mir echt Bauchschmerzen macht. Prognosen sagen, Ende 2021 werden es etwa 15 Prozent weniger Fahrgäste im Nahverkehr sein als vor Corona. Trotz dieser Delle wollen die Städte es schaffen, die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr bis 2030 zu verdoppeln. Leicht wird das nicht. Ohne den Ausbau von Bus und Bahn ist klimafreundliche Mobilität in den Städten aber nicht denkbar. Also muss das Angebot stimmen. Wir brauchen gute Fahrzeuge, attraktive Fahrpläne und einen möglichst reibungslosen Betrieb – die berühmten „Störungen im Betriebsablauf“ locken niemanden in die U-Bahn. Ich sehe nicht, dass wir diesen Hochlauf des ÖPNV ohne finanzielle Hilfe von Bund und Ländern – auch bei den Betriebskosten – schaffen werden. Aber wir wissen ja, dass auch Bund und Länder an der Einhaltung der Klimaziele interessiert sind.

Die Fragen stellten Klaus Hinkel und Hans-Christoph Neidlein
Mit freundlicher Genehmigung der Zeitung für kommunale Wirtschaft, www.zfk.de